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Die Geschichte der Friedrichstraße, Teil 7: Berlins Vergnügungsviertel

Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im siebten Teil widmen wir uns dem wachsenden Tourismus Ende des 19. Jahrhunderts und den immer zahlreicher werdenden Brauereien, Weinstuben, Trinkhallen und Tanzlokalen in Berlins “Saufstraße”.

Blick auf die südöstliche Ecke des Central-Hotels an der Kreuzung Friedrichstraße / Dorotheenstraße. / © Foto: Wikimedia Commons

© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler

DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE

Teil 7 – Berlins Vergnügungsviertel

Zu den ersten sechs Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier

 

Die immer mehr zunehmende Anziehungskraft der Metropole Berlin – und im Speziellen der Friedrichstraße – führte zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem regelrechten und nicht abreißenden Touristenstrom, der hauptsächlich aus der „Fremde“ kam, also aus allen deutschen Landesteilen und natürlich aus dem europäischen und nichteuropäischen Ausland.

Der Bahnhof Friedrichstraße spielte dabei eine entscheidende Rolle, was sich letztendlich auch im hektischen Treiben in der Friedrichstraße niederschlug. Der Bahnhof Friedrichstraße wurde somit für die Friedrichstraße quasi zum Lebenselixier, denn wer die Stadt besuchen wollte, konnte jetzt direkt in die Friedrichstraße fahren, ohne vorher am Anhalter Bahnhof, Potsdamer Bahnhof, Lehrter Bahnhof oder Schlesischen Bahnhof umsteigen zu müssen.

Friedrichstraße: Quartier für Hotels und Tingeltangel

Die Bedeutung der Friedrichstraße als dem attraktiven Standort im Herzen Berlins nahm also weiter zu, was auch Alfred Kerr 1895 in seinen „Briefen aus der Reichshauptstadt“ so beschrieb: “Die Fremden kommen in der Friedrichstraße an, wohnen dort, besuchen die großen Restaurants und Hauptvergnügungstempel und sind, nachdem sie die Friedrich – und Leipziger Straße, sowie die Straße Unter den Linden ein halbes Dutzend Mal hoch und runter gelaufen sind, der Meinung, Berlin nun zu kennen.

Dem war natürlich nicht so, denn das eigentliche Berlin spielte sich an anderen Orten der Stadt ab und nicht in dem „Hotel- und Tingeltangel- Stadtteil“. Die Dorotheen- und Friedrichstadt hatten sich in dieser Zeitspanne zu einem Fremdenviertel, einer Hotelstadt respektive zu einem Geschäfts- und Vergnügungsviertel entwickelt.

Viele Gäste aus dem In- und Ausland besuchten die Friedrichstraße

Diese Magnetwirkung verfehlte für die „Provinzler“ aus dem gesamten Deutschen Reich und dem Ausland nicht ihren Reiz. Ob es darum ging ein Geschäft abzuwickeln oder nach einem Abenteuer zu suchen, die jährliche Besucherzahl an ausländischen Touristen wurde auf knapp eine Million geschätzt!.

In Folge dessen wuchs die Hotelbranche über alle Maßen. Speziell im Umfeld der Fernbahnhöfe Potsdamer Bahnhof und Bahnhof Friedrichstraße erreichte die Zahl der Hotels jeglicher Couleur schier ausufernde Dimensionen.

Touristen: Rund um die Friedrichstraße boomte die Hotelwirtschaft

Die unumstrittene Nummer eins war das „Central-Hotel“, ein zwischen der Georgen – und Dorotheenstraße errichteter mondäner Neubau mit 400 Zimmern und 500 Betten. Zu jener Zeit war das „Central-Hotel“ das Spitzenhotel in Europa, in dem an der Westseite des Hotels ein glasüberdachter Wintergarten die Attraktion schlechthin darstellte.

Allein die Ausmaße mit 75 Metern Länge, 23 Metern Breite und 17 Metern Höhe waren damals einmalig. Das Ensemble bot Platz für bis zu 2.000 Personen. Dort zog nach einem Umbau Anfang des 20.Jahrhunderts das berühmte „Wintergarten-Varieté“ ein. Leider wurde dieses Hotel mit Wintergarten im Verlauf des zweiten Weltkriegs komplett zerstört.

1885 lebten rund 355.000 “registrierte Ausländer” in Berlin – offiziell

Zur Eröffnung des in allen Belangen ausgewiesenen Nobelhotels im Jahr 1880 betrug die Einwohnerzahl Berlins gut 1,1 Millionen Menschen. Gut zehn Jahre nach Reichsgründung und dem Aufstieg Berlins zu deren Hauptstadt trugen die unzähligen, wie Pilze aus dem Boden schießenden Hotels, diesem Anspruch dementsprechend Rechnung.

Übrigens betrug die Zahl der polizeilich registrierten Ausländer 1885 auch schon 355.000, bei Hinzuzählung der nicht Gemeldeten schätzte man allerdings das Vierfache! Wer kein Hotelzimmer in der Friedrichstraße oder deren näherer Umgebung fand, musste sich etwas einfallen lassen und hatte oft das Vergnügen, sich in der Gegend rund um die Friedrichstraße das bunte Treiben der Nacht authentisch anschauen zu können.

Jahrhunertwende: Nächtliche Badeanstalten hatten regen Zulauf

Die Etablissements dazu gab es ausreichend, u.a. mit der etwas abgewandelten Bezeichnung wie, „Nacht-Badeanstalten“, die zum nächtlichen Besuch einluden. Dabei ging es nicht nur um die Reinlichkeit, sondern mehr um die Geselligkeit. Reisende, die sich vom Bahnhof Friedrichstraße aus auf eine ergebnislose Hotelsuche machten, kamen dann völlig ermattet um Mitternacht ins Bad, um sich von den Strapazen zu erholen, es „förderte und reinigte somit den Fremdenverkehr“.

So warb etwa das Dampfbad Admiralspalast in einer Werbeanzeige um die Aufmerksamkeit der Besucher mit dem Hinweis „Das modernste Bad Europas“ zu sein. Es war nicht das einzige Dampfbad in der Friedrichstraße, aber das größte und bekannteste. Erstaunlicherweise blieb das Gebäude von den zerstörerischen Luftangriffen im zweiten Weltkrieg unversehrt, aber ein Badebetrieb wurde von den Besitzern danach nicht wieder aufgenommen. Der Denkmalschutz ließ Ende der achtziger Jahre die Reste der Original-Inneneinrichtung letztendlich entfernen.

Friedrichstraße: Restaurants in S-Bahn-Bögen/Bierbrauereien

 Die am Bahnhof Friedrichstraße ankommenden Reisenden wollten natürlich versorgt und beköstigt werden und so entstanden anfangs östlich von der Friedrichstraße gelegen die ersten Restaurants. Die mit den neuen Bahngleisen entstandenen Hallen, die sogenannten S-Bahn-Bögen, konnten dafür idealerweise vor allem von Einzelhändlern und Schankwirten genutzt werden.

Die Entstehung der S-Bahn-Bögen fällt auf eine Entscheidung der Stadtbahnerbauer zurück, die die Idee hatten, die viergleisige Stadtbahn aufzuständern und auf tragenden Ziegelsteinbögen zu verankern. Einer der ersten bekannten Betreiber eines Lokals in den S-Bahn-Bögen war das „Zum Franziskaner“, wo vor allem das Bier in reichlichem Maße floss.

Gastronomie und Einzelhandel in den S-Bahn-Bögen der Stadtbahn

Eine der ältesten Berliner Brauereien befand sich in der Friedrichstraße 128, wo ein Bierbrauer namens Stachow sein Bier braute, in unmittelbarer Nähe zum Französischen Hospital gelegen. Dieser Brauereistandort existierte noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bekannt als Weißbier Aktien Brauerei, was vorher Bolle war.

Zur Jahrhundertwende dominierten allerdings süddeutsche Biere den mittleren Abschnitt der Friedrichstraße, wobei das Gebäude der Tucher Brauerei aus Franken besonderes Augenmerk angesichts seiner imposanten Fassadengestaltung auf sich zog.

Das älteste Münchner Brauhaus präsentierte die bayrische Bierbraukunst in seiner Berliner Residenz, Friedrichstraße 172, mit der Fassadenaufschrift „Brauerei zum Spaten v. Gabr. Sedlmayr München“.

Tradition süddeutscher Biere in der Berliner Friedrichstadt

Die Präsenz der süddeutschen Biere in Berlin hat also eine weit zurückliegende Tradition. Dabei stellt sich aber die Frage, was den Erfolg der süddeutschen Biere im Vergleich zu den in Berlin und Umgebung gebrauten Bieren ausmachte.

In den Bierstuben grassierte der Spruch, dass „beim Baierschen Bier der Trinker lebhaft und aufgeregt wird, wohingegen das Weißbier den Trinker beruhigt, gemütlich und letztendlich schläfrig macht“. Aber die Berliner Brauereien wussten sich gegen die Dominanz der süddeutschen Bierbrauer zu behaupten und begannen, sich auf die veränderten Trinkgewohnheiten der Berliner Einwohnerschaft und der zahlreichen Gäste einzustellen.

Zunehmender Bierkonsum: Berlins Brauereien wuchsen zu Unternehmen an

Der Bierkonsum nahm in der Hauptstadt derart zu, dass aus den anfangs relativ kleinen Brauereien moderne kapitalistische Unternehmen wurden, die ihre Absatzmärkte nicht nur in Berlin, sondern auch über die Provinzgrenzen hinaus hatten.

Die Berliner Schultheiß-Brauerei war eine der ersten modernen und großen Brauereien, die im Jahr 1888 ihr Domizil in der Friedrichstraße, Ecke Behrenstraße aufschlug, den süddeutschen Bier-Residenzen ebenbürtig war und ihnen in nichts nachstand. Das Gebäude existiert übrigens noch heute an diesem Standort. Gegenüber befindet sich der Sitz der Münchner Pschorr-Brauerei.

Auch Weinhändler und Weinstuben erfreuten sich großer Beliebtheit

 Aber nicht alle Brauereien konnten sich auf Dauer wirtschaftlich über Wasser halten, so dass Weingutbesitzer und Weinhändler die sich ihnen bietende Chance von Geschäftsaufgaben nutzten, um in diesen vorhandenen Gebäuden ihren Weinverkauf anzukurbeln.

So übernahm die Weinstube Gruban & Souchay den für den Bierausschank architektonisch hervorragend ausgestatteten Gebäudekomplex der Münchner Augustiner-Brauerei an der Ecke Friedrichstraße. Zwischenzeitlich entwickelte sich damit ein Trend und auch andere Weinhandlungen etablierten sich in der Friedrichstraße, so dass den bereits agierenden Biersälen eine ernst zu nehmende Konkurrenz erwuchs.

Moritz Kempinski eröffnete in der Friedrichstraße sein erstes Lokal

Einer der in Berlin bekanntesten Weinhändler kam übrigens 1874 aus Breslau in die Hauptstadt und eröffnete in der Friedrichstraße 178 ein kleines Ladenlokal, in dem er der Kundschaft nicht nur Wein, sondern auch ein entsprechendes Speisenangebot präsentierte: Moritz Kempinski.

Der florierenden Geschäftstätigkeit geschuldet, errichtete Kempinski in der Friedrichstraße 255 eine 7.000 Quadratmeter große Zentralkellerei, in der er rund zehn Millionen Flaschenweine lagerte, was bei einem Tagesumsatz von 10.000 Flaschen garantiert eine sinnvolle Investition darstellte.

Kempinski erkannte früh den Trend zu Delikatesse und Feinkost

Kempinski expandierte weiter und eröffnete eine weitere Filiale am Kurfürstendamm, der neuen wachsenden und sich entwickelnden westlichen Innenstadt. Aber der Name Kempinski stand in Berlin mittlerweile auch für ein vorzügliches Speisenangebot. Diesen Trend, die Verlagerung des Absatzes von Wein zu delikaten Lebensmitteln, nahm er auf und entwickelte ihn fortan weiter, in der Kombination aus Wein und Speisen.

Im Eckhaus Krausenstraße 71 / Friedrichstraße 198-199 eröffnete Kempinski dann folgerichtig sein eigenes Delikatessen- und Feinkostgeschäft. Am Kurfürstendamm erweiterte er das Firmenkonstrukt um ein exklusives Restaurant, genau an der Stelle, wo heute das gleichnamige Hotel Kempinski steht.

Die Friedrichstraße als „Saufstraße“

 Neben Bierlokalen und Weinstuben kamen noch die Likörstuben auf; mindestens elf sollen um die Jahrhundertwende in der Friedrichstraße ihren Ausschank betrieben haben. Heute noch existierende, bekannte Likörhersteller wie Mampe oder Bols betrieben ihre Lokale in der Friedrichstraße.

Diese schier unübersichtliche Anzahl an Kneipen, Bars, Bierhäusern, Kaffeestuben, Lokalen, Restaurants und Cafés veranlasste die Berliner in ihrem Sarkasmus dazu, der Friedrichstraße den respektlosen Beinamen „Saufstraße“ zu verleihen. Spötter behaupten, dass es in der Friedrichstraße mehr Restaurants gab als Hausnummern. Die querverlaufende Behrenstraße übrigens wurde zur „Straße des Geldes“, da hier die großen Bankpaläste der Deutschen und Dresdner Bank standen.

“Saufstraße”, “Kaufstraße” und “Laufstraße” in Berlin-Mitte

Ergänzend sei noch angemerkt, dass aufgrund des besonders starken Publikumsverkehrs die Berliner die Leipziger Straße zur „Kaufstraße“ und die Straße Unter den Linden zur „Laufstraße“ degradierten.

Für jeden Besucher Berlins, zahlungskräftig oder weniger gut betucht, und für jeden mehr oder weniger verwöhnten Geschmack ließ sich die richtige Örtlichkeit finden. Nicht zuletzt konzentrierte sich in der Friedrichstraße schließlich das bewegte Berliner Nachtleben.

 

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Serie – Berlins Luftschlösser, Teil 2: Der Neubau der Gedächtniskirche

Serie: Berlins Bauwerke der Moderne, Teil 3 – Der Pariser Platz

Vergessene Baukunst: Die Geschichte jüdischer Architekten in Berlin

Wiederaufbau der Altstadt? Die “Stiftung Mitte Berlin” im Interview

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