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Jede Zeit baut ihre Stadt.

Die Geschichte der Friedrichstraße, Teil 8: Revue, Theater & Erotik

Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im achten Teil widmen wir uns der wachsenden Prostitution zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dem Überangebot an Revue-Theatern, Kabaretts und Tanzpalästen, die die vergnügungssüchtigen Besucher in die Friedrichstraße lockten. Auch die Geburtsstunde der Berliner U-Bahn fällt in diese Zeit und bescherte der Friedrichstraße große Veränderungen.

© Foto Titelbild: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler

DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE

Teil 8 – Revue, Theater & erotische Abenteuer

Zu den ersten sechs Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier

 

Berlin hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Weltstadt entwickelt und die Friedrichstraße mit seiner unglaublichen Vielfalt an Vergnügungsmöglichkeiten war quasi der Inbegriff dessen.

So existierte in der Friedrichstraße und den umliegenden Straßen eine derartige Vielzahl an Vergnügungslokalen, dass eine durchaus beachtliche Anzahl von Besuchern sich aufmachte, um in der Friedrichstraße Aufregendes zu suchen, in der Regel das erotische Abenteuer der Großstadt.

In der Friedrichstraße hatte sich die Prostitution extrem ausgebreitet

Die Prostitution hatte sich in Berlin und sehr extrem in der Friedrichstraße ausgebreitet, so dass man um die Jahrhundertwende die Zahl der weiblichen Prostituierten auf 10.000 bezifferte, die hauptsächlich aus den ärmeren und mittellosen Bevölkerungsschichten stammten.

Nach einer damals durchgeführten statistischen Erhebung war von den Frauen Berlins im Alter zwischen 17 und 45 Jahren jede achte als Prostituierte tätig. Zur Friedrichstraße gehörte eben auch diese „berlinische Sündhaftigkeit“, was sich allerdings auch auf andere queere Communities bezog.

Die größte Gruppe der Prostituierten waren die Straßendirnen

Die Straßendirnen waren dabei damals wie später die größte Gruppe und kamen aus allen Stadtteilen Berlins in die Friedrichstraße, um sowohl tagsüber und hauptsächlich in der Dämmerung ihrem Gewerbe nachzugehen.

In den Amüsierlokalen der Friedrichstraße gab es ausreichend Hinterzimmer, in den Nebenstraßen genügend Hinterhofwohnungen, wo sie dementsprechenden Unterschlupf fanden. Außerhalb Berlins und in der Maler-Kunstszene sprach man daher von einer „Märchenwelt voll Licht, Frauen und Erotik“.

“Eine Märchenwelt voll Licht, Frauen und Erotik”

Diesem Lockruf der Lasterhaftigkeit verfielen nicht nur Besucher, sondern auch Einheimische und die Betreiber dieser Amüsierlokale ließen nichts unversucht und waren durchaus kreativ, um die Kunden für den Besuch der Lokale zu animieren.

Der Maler und Graphiker George Grosz (1893-1959) schilderte in seinen Memoiren das damalige Treiben: “In der Friedrichstraße wimmelte es von Huren. Sie standen in den Hauseingängen wie Schildwachen und flüsterten ihr stereotypisches: ,Kleiner, kommste mit?‘” Es war die Zeit der großen Federhüte, der Federboas und des hochgeschnürten Busens. Die hin und wieder geschwenkte Tasche war das Abzeichen der Gilde.

Das berühmteste “Hurencafé” in der Friedrichstraße war das “Café National”

Das berühmteste „Hurencafé“ in der Friedrichstraße war das “Café National”, wo auch Flaubert und Maupassant gelesen hatten, somit diesem Nachtleben noch eine Art Poesie einhauchten. In der südlichen Friedrichstraße, also zwischen Leipziger Straße und Halleschem Tor, hatten sich die „Mokka-Dielen“ mit sogenannten „Knutschlogen“ angesiedelt.

In der nördlichen Friedrichstraße (bis zum Oranienburger Tor) erfreuten sich die Besucher in den Lokalen an erotischen Darbietungen wie etwa Nackttanz, untermalt mit zweideutig schlüpfrigem Begleitprogramm, forciert durch die jeweiligen „Conférenciers“.

Bis in die 1920er Jahre blieb das Rotlichtmilieu in der Friedrichstraße

Dieses beliebte und schillernde Nachtleben spielte sich in der Friedrichstraße bis Ende der zwanziger Jahre ab, dann verlagerte sich dieses für die Besucher unterhaltsame Spektakel zum westlichen Boulevard hin.

Der in der Friedrichstraße verbliebene Rest war dann mehr etwas für Nostalgiker, so dass die Bedeutung als erotisches Amüsierviertel abnahm und sich in den Jahren danach ein melancholischer Schleier darüberlegte.

Kabaretts, Theater und Varietés

Das Interessante an Berlin waren sowohl für Fremde als auch für die Bewohner der peripheren Vorstädte nicht unbedingt die Sehenswürdigkeiten, sondern viel mehr die neuesten Vergnügungsorte, wo man etwas „erleben“ und wo man Bier, Wein oder Kaffee in einer gediegenen Umgebung trinken konnte.

Und so ging es ins „Tingeltangel“, ins Varieté oder ins Theater –  Unternehmungen also, die man in der Provinz nicht hatte oder kaum geboten bekam. Das “Apollo-Theater” in der Friedrichstraße 218 war so ein Vergnügungstempel, wo Akrobatik, Clownerien und Gesangstheater sich im ersten Teil der Vorführungen abwechselten und im zweiten Teil des Abends noch ein Theaterstück aufgeführt wurde.

Berlins Tempel der heiteren Muse: Das “Apollo-Theater”

Vor dem ersten Weltkrieg war das “Apollo-Theater” in Berlin der beliebteste Tempel der heiteren Muse. Paul Lincke als Kapellmeister des Hauses und zudem noch Komponist hatte daran den größten Anteil und verschaffte dem Theater dank seiner – heute noch gespielten – ‚Frau Luna‘ einen besonderen Nimbus, der dem Haus über Jahre hinweg volle Kassen und somit auch den erforderlichen wirtschaftlichen Erfolg bescherte.

Mit solch einprägsamen Melodien, wie ‚Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe, Liebe‘ oder ‚Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft‘ eroberte diese „Berliner Operette“ die Herzen der Besucher. Mit ‚Frau Luna‘ war die Berliner Operette geboren, der weitere berühmte Komponisten, wie Holländer, Kollo, Nelson und eben Lincke ihre weitere Prägung gaben.

Friedrichstrasse: Paul Lincke, legendärer Kapellmeister im “Apollo”

Paul Lincke wechselte später an andere Berliner Bühnen und das ‚Apollo‘ verlor bis zum ersten Weltkrieg mehr oder weniger seinen Glanz. Eigentlich schade, denn das ‚Apollo-Theater‘ hatte die sogenannten ‚Rundumrevuen‘ geprägt, wo nicht unbedingt die Handlungen ausschlaggebend waren. Hauptsache die Musik stimmte!

Diese Revuetheater basierten auf dem Prinzip, nur das modernste und fröhlichste Welt- und Großstadtleben zu verkörpern und somit das Theater in einen beachtenswerten Faktor des heiteren Lebens zu transformieren.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg fanden große Revuen weiter ihr Publikum

Aber auch nach dem Ersten Weltkrieg fanden diese Revuen großen Anklang und wurden weiterhin aufgeführt, woran die in der Friedrichstraße 104, in der Nähe der Weidendammer Brücke, gelegene ‚Komische Oper‘ und das in der Behrenstraße beheimatete ‚Metropol-Theater‘ einen wesentlichen Beitrag leisteten.

Die große Konkurrenz in der unmittelbaren Nachbarschaft, wie das ‚Große Schauspielhaus‘ oder der ‚Wintergarten‘, forderten die Betreiber der Revuetheater geradezu heraus, so dass die ‚Berliner Operette‘ ihre zweite Blütezeit erlebte.

Am Bahnhof Friedrichstraße wurde auch der “Admiralspalast” zum Revuetheater

Direkt am Bahnhof Friedrichstraße gelegen, wollte auch der ‚Admiralspalast‘ teilhaben an diesem regelrechten Erfolgsmodell und nachdem Paul Lincke in den ‚Admiralspalast‘ gewechselt war, brachte er noch in den dreißiger Jahren mit großem Erfolg seine ‚Frau Luna‘ auf die Bühne, verschaffte somit auch dem ‚Admiralspalast‘ die entsprechende Reputation.

Auch das ‚Große Schauspielhaus‘, dieser 1919 umgebaute Zirkusbau, in dem Max Reinhardt bis 1924 als künstlerischer Leiter agierte, trug maßgeblich zum Stil der deutschen Revuen bei.

In der Friedrichstraße gab es herausragende Theateraufführungen

Unter Leitung von Eric Charell, einem ehemaligen Tänzer, zählten Inszenierungen wie ‚Im Weißen Rössl‘, übrigens als Welturaufführung, oder die Berliner Erstaufführung von Gershwins ‚Rhapsody in blue‘ zu den herausragenden Aufführungen im Theater-Umfeld der Friedrichstraße.

Die Ära des ‚Großen Schauspielhauses‘ fand 1930 ihr Ende, dann wurde das Haus zum Friedrichstadt-Palast, der 1985 abgerissen und kurze Zeit später als neuer Friedrichstadt-Palast an anderem Standort wieder aufgebaut wurde.

Auch das Kabarett war in der Friedrichstraße zuhause

Es gab darüber hinaus im Berliner Nachtleben noch weitere Unterhaltungsmöglichkeiten, so etwa das klassische Kabarett, getreu nach dem Pariser Vorbild. Um 1900 hatte das Kabarett großen Zulauf und wer nach Theater und Operette noch nicht genug hatte, vergnügte sich noch weiter zu mitternächtlicher Stunde im politischen Kabarett.

Es gab zwei bekannte Kabaretts, zum einen das ‚Chat Noir‘ in der Friedrich-, Ecke Behrenstraße, sowie das ‚Linden-Cabaret‘. In Paris war das ‚Chat Noir‘ eine der angesagtesten Nachtbühnen mit anspruchsvollen Chanson-Texten und bekannten Künstlern.

Kabarett-Legenden: “Chat Noir” und “Linden-Cabaret” lockten ihre Gäste an

Für das Berliner ‚Chat Noir‘ also ein gutes Omen, dazu an einem bevorzugten Standort im Obergeschoss der ‚Kaiserpassage‘ gelegen, so dass vom Publikum her und dem anspruchsvollen künstlerischen Programm alles zum Besten lief. Das ‚Chat Noir‘ gehörte Rudolf Nelson, der als Musiker und Komponist die künstlerische Richtung vorgab. Stars wie Gussy Holl, Trude Voigt und Lucie Berber sorgten für die erfolgreiche Umsetzung der Chansons.

Im ‚Linden-Cabaret‘, im Obergeschoss der ‚Kaisergalerie‘-Passage gelegen, war die aus dem Ruhrgebiet stammende Wahl-Berlinerin Claire Walldorf der Star des Cabarets. Im ‚Café Monopol‘ wiederum, direkt neben dem Bahnhof Friedrichstraße, trafen sich Künstler, die sich als Unterhaltungstruppe formierten und mit dem künstlerischen Programm ‚Brille‘ für Furore sorgten.

Berühmter Vergnügungsort: “Wintergarten” im “Central Hotel”

Aber der durchaus berühmteste Vergnügungsort an der Friedrichstraße war der ‚Wintergarten‘ im ‚Central-Hotel‘. Diese Adresse war auch für gehobenere Kreise attraktiv und somit bestens frequentiert. Ein Grund für den Erfolg war sicher auch der gute Ruf des Nobelhotels, das frei war von „jeglichen unehrenhaften Spekulationen“.

Das künstlerische Programm des ‚Wintergarten‘ war eine Mischung aus Kabarett und Zirkus und bescherte dem Haus über 50 Jahre einen durchschlagenden Erfolg.

Konkurrenz durch Berliner City-West

Bis dato war die Unterhaltungsbranche also in der Friedrichstraße fest etabliert und weitere Künstler aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland folgten dem Ruf des künstlerischen Eldorado Berlins und im Speziellen der Friedrichstraße. Wer sich als Künstler in diesem Umfeld behaupten konnte, galt als Star und hatte sich in Berlin etabliert.

So beschloss unter anderem der Hamburger Schauspieler Hans Philipp August Albers im Jahr 1917 den Sprung nach Berlin zu wagen, der anfangs nur in Stummfilmrollen zu sehen war. 1921 spielte er dann im Trianon-Theater, in der Georgenstraße 9, direkt unter dem S-Bahnbogen 119, die Rolle des Malers Felicien Bedarride. In Berlin gelang dem ‚Blonden Hans von der Waterkant‘ der künstlerische Durchbruch.

In Berlins Friedrichstraße gelang Hans Albers der künstlerische Durchbruch

Die Berliner City-West allerdings, die sich damals noch im Aufbau befand, sorgte wenig später dafür, dass Künstler und Intellektuelle dorthin wechselten, wodurch sich vorerst nur die Kabarettszene, als ein nicht unerheblicher Bestandteil der Unterhaltungsbranche insgesamt, dorthin verschob.

Bereits um die Jahrhundertwende lief die rasante Verkehrsentwicklung Berlins Gefahr, komplett aus dem Ruder zu laufen. Es mussten also neue, alternative Verkehrsverbindungen her, um das stetig steigende Verkehrsaufkommen in den Griff zu bekommen.

Neue Verkehrswege wurden erschlossen: Bau der ersten Hochbahn

Der Berliner Magistrat rang bereits seit Jahren um neue Lösungen, um die drohende Eskalation des innerstädtischen Verkehrs abzuwenden. Ein Weg dahin war eine gezielte Verlagerung der Verkehrsströme von den Straßen weg.

Die vollständige Elektrifizierung der Berliner Stadtbahn wurde 1902 abgeschlossen. Die elektrischen Straßenbahnen, die in der Friedrichstraße zwischen Oranienburger Tor und Weidendammer Brücke sowie vom Leipziger Platz zum Belle-Alliance-Platz fuhren – heute Mehringplatz – waren mittlerweile das Verkehrsmittel mit der stärksten Fahrgastfrequenz.

Werner von Siemens legte Pläne für eine Hochbahn auf Eisensäulen vor

Werner von Siemens, der Pionier für Strombetriebene Verkehrsmittel, legte den Berliner Behörden bereits 1880 mehrere Entwürfe für weitere Strombetriebene Varianten vor, darunter eine ‚Hochbahn auf fest im Boden verankerten Eisensäulen‘.

Aber die Berliner Behörden lehnten erstaunlicherweise Siemens‘ Entwurf ab, entsprach doch dieser Vorschlag ungefähr der bereits seit Jahren in New York erfolgreich laufenden Hochbahn.

Berlins Behörden lehnten die Pläne von Werner von Siemens vorerst ab

Wahrscheinlich waren die Kopfschmerzen der Behörden hinsichtlich des explodierenden  Verkehrsaufkommens noch nicht groß genug, anders kann man diese Gleichgültigkeit Neuem gegenüber wohl kaum erklären.

Berlin hatte als Metropole und Weltstadt die Millionen-Einwohnergrenze längst überschritten und die zunehmende Verkehrsdichte verlangte nach technologisch neuen bzw. alternativen Verkehrsführungen.

“Unterpflasterbahn”: Geburtsstunde der Berliner U-Bahn

Aber Siemens gab nicht auf und reichte zehn Jahre später nach seinem ersten, von den Behörden zurückgewiesenen ‚Hochbau-Entwurf‘, sein Konzept einer ‚Schnellbahn‘ ein, dass eine Kombination der bereits erwähnten ‚Hochbahn‘ mit einer in Teilabschnitten angelegten ‚Unterpflasterbahn‘ vorsah.

Das war quasi die Geburtsstunde der Berliner Untergrundbahn, denn nach diesem Konzept wurden die späteren U-Bahnstrecken gebaut. Jedoch gab es neben Siemens noch andere Anbieter, die Konzepte für ein effektives Nahverkehrssystem dem Magistrat vorlegten, denn man wusste, dass man damit Geld verdienen und Ruhm erlangen konnte.

Auch AEG und Siemens-Halske legten konzepte für neue Verkehrswege vor

Neben der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG) legte auch die Firma Siemens-Halske neue, überarbeitete Konzepte vor, aber selbst diese Varianten wurden seitens der Stadt Berlin nicht ins Kalkül gezogen.

Der Berliner Magistrat verfolgte mittlerweile seine eigenen Ideen zum Betrieb von stadteigenen Schnellbahnlinien, was anfangs jedoch nicht funktionierte.

1902 startete die erste “Elektrische Hoch- und Untergrundbahn”

Und so startete 1902 die erste ‚Elektrische Hoch- und Untergrundbahn‘, ein gemeinsames Projekt der Firma Siemens-Halske und der Deutschen Bank. Die Bahn verlief vom S-Bahnhof Warschauer Straße über das Gleisdreieck zum Potsdamer Platz, womit die südliche Friedrichstraße über eine weitere schnelle Verkehrsanbindung verfügte.

Zehn Jahre später war dann die Stadt Berlin soweit, ihre eigenen Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Es ging dabei um eine Nord-Süd-Trasse, die allerdings durch den ersten Weltkrieg und der nachfolgenden Finanzschwäche bedingt einige zeitliche Verzögerungen hinnehmen musste.

In den 1910er Jahren wurde die Siemens-“Unterpflasterbahn” letztlich doch gebaut

Letztendlich kam hier dann doch die von Siemens zwanzig Jahre vorher eingereichte Variante der ‚Unterpflasterbahn‘ zum Tragen. Die Friedrichstraße erweiterte somit in den zwanziger Jahren durch die neuen U-Bahnverbindungen  das Verkehrsangebot und gewann dadurch noch mehr an Attraktivität.

Die neuen U-Bahnverbindungen wurden von den Fahrgästen äußerst positiv aufgenommen, da sie als durchaus nobles Verkehrsmittel galten. Die Berliner U-Bahn wurde schnell das neue Massenverkehrsmittel mit der Konsequenz, nicht nur die Zuglänge, sondern auch die Bahnsteige zu verlängern.

Weltpremiere im Wintergarten – Filmbranche in der Friedrichstraße

In der Friedrichstraße fand noch eine legendäre Welturaufführung statt: Theater lebender Photographien oder „Als die Bilder laufen lernten“. Die Geburtsstunde der Kinematographie schlug am 1. November 1895 im Wintergarten und begann von hier aus seinen Siegeszug durch die Welt.

Spiritus rector dieser Sensation war Max Skladanowsky, gebürtiger Berliner, der einer ausgesuchten Schar von Reportern in der Pankower Berliner Straße 27, im Filmtheater „Tivoli“, Probevorführungen seines Bioskops, einer von ihm entwickelten Filmkamera, präsentierte.

Max Skladanowsky präsentierte die ersten Stummfilmaufnahmen mit Laiendarstellern

Skladanowsky war seinem französischen Miterfinder Lumière und dem Amerikaner Lautham insofern voraus, indem er Handlungen von Laiendarstellern spielen ließ, die er sich vorher ausgedacht hatte, während Lumière und Lautham einfach Ereignisse, wie die Abfahrt eines Zuges oder das Einlaufen eines Schiffes in den Hafen aufnahmen.

Der Schauspieler Eduard von Winterstein schilderte in seinen Lebenserinnerungen, was in der Friedrichstraße geschah. Er besuchte eine Vorstellung im Wintergarten, wo die „The five sisters Barrison“ auftraten, eine “Girltruppe”, die Vorfahren aller weiblichen Tanzgruppen. Die “Girls” waren aber nicht der eigentliche Anlass seines Wintergarten-Besuchs, sondern die Vorstellung der Gebrüder Skladanowsky, die als Schlussnummer jeder Vorstellung gezeigt wurde.

Firmen der Filmbranche etablierten sich in der Friedrichstraße

Es waren meist kurze, humoristische Szenen. Die Titel deuteten bereits das Gaudium an, was zu sehen war: „Boxendes Känguruh“ etwa oder „Mann verfolgt Mann“. Die Vorstellung dauerte etwa 15 Minuten und hatte mehrere Sequenzen.

Die Besucher waren beeindruckt und so etablierten sich aufgrund der Weiterentwicklung der ersten von Skladanowsky gebauten Filmkamera die Firmen der Filmbranche dementsprechend in der Friedrichstraße. Unter der Rubrik „Film-Fabrikations-Vertrieb“ waren 21 von 30 in Berlin gemeldeten Firmen in der Friedrichstraße ansässig.

Zahlreiche Filmtheater schossen in der Friedrichstraße aus dem Boden

Parallel dazu schossen die Filmtheater wie Pilze aus dem Boden. Noch heute kann man in der Friedrichstraße 218 an einer Gedenktafel lesen, dass am 29. April 1926 im ‚Apollo‘ die deutsche Erstaufführung von Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Patomkin“ zu sehen war.

Die Berliner besuchten nun häufiger und in Scharen die neuen Kinos und gaben bereits in den Anfangsjahren den Film-Etablissements den heute noch volkstümlichen Namen: “Kintopp”.

Zu erwähnen bleibt noch, dass auch Otto Reutter im Wintergarten gastierte und anlässlich des 30-jährigen Jubiläumsprogramms sang, dass in fünfzig Jahren alles vorbei sei. Für ihn persönlich und den berühmten Wintergarten sollte es noch nicht einmal so lange dauern, denn Reutter starb am dritten März 1931 und der Wintergarten versank samt “Central-Hotel” im zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche.

 

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Serie – Berlins Luftschlösser, Teil 2: Der Neubau der Gedächtniskirche

Serie: Berlins Bauwerke der Moderne, Teil 3 – Der Pariser Platz

Vergessene Baukunst: Die Geschichte jüdischer Architekten in Berlin

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