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Geschichte der Friedrichstraße, Teil 5: Revuetheater und Kaisergalerie

Im Rahmen einer mehrteiligen Reihe schauen wir auf die bewegte Geschichte der Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Im fünften Teil widmen wir uns der Entstehung des Friedrichstadt-Palastes, der Hochphase der städtischen Markthallen und einem 128 Meter langen Bauwerk, welches ab 1873 alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.

Der auf über 800 Pfählen errichtete, “alte” Friedrichstadt-Palast auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1972. Anfang der 1980er Jahre musste das Gebäude abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. / © Foto: Wikimedia Commons, Bundesarchiv Bild 183-L1109-0305

© Fotos: Wikimedia Commons
Text: Wolfgang Leffler

DIE GESCHICHTE DER FRIEDRICHSTRASSE

Teil 5 – Revuetheater und Kaisergalerie

Zu den ersten vier Teilen Der Reihe gelangt Ihr hier

 

Markthallen an der Friedrichstraße

Wochenmärkte wurden in Berlin bis Mitte des 19. Jahrhunderts unter freiem Himmel abgehalten. Aber die Stadt wollte dem Pariser Vorbild „Halles Central“, übrigens wie bei so vielen urbanen Projekten, nacheifern und so wurde ein nordwestlich der Weidendammer Brücke gelegenes, ehemaliges Areal für Holzlagerungen für die erste Markthalle Berlins bebaut.

Diese neue und somit erste Markthalle Berlins, in unmittelbarer Nähe der Friedrichstraße, wurde Anfang Oktober 1867 eingeweiht und eröffnet. Diese Marktform war natürlich auch dem Modernisierungsstreben Berlins geschuldet, welches dem Anspruch der aufstrebenden Großstadt entsprach und den Händlern wesentlich bessere Bedingungen bot, vor allem im Hinblick auf die hygienischen Verhältnisse, die vorher unter freien Himmel teilweise katastrophal waren.

Nach sechs Monaten musste Berlins erste Markthalle wieder schließen

Obwohl das Interesse der Käufer anfangs überwältigend war, musste diese erste Berliner Markthalle – an der Friedrichstraße, Ecke Lindenstraße gelegen – rund sechs Monate später aufgrund der von den Eigentümern erhobenen hohen Standgebühren wieder geschlossen werden.

Speziell die kleineren Händler, die die Masse der Verkaufsstände ausmachten, konnten schlichtweg nicht die Umsätze generieren, um den Eigentümern die erwarteten Gewinne einzuspielen. Daraufhin wurde die erste Markthalle auf Initiative der Betreiber für andere, lukrativere Nutzungen hergerichtet bzw. neu projektiert. Es waren vor allem Zirkusvorstellungen, die ab Weihnachten 1873 in der umgebauten Markthalle stattfanden.

Zirkus statt Markthalle: Der alte Friedrichstadt-palast

 Zur Geschichte dieser ersten Berliner Markthalle, die als „Riesenmarkthalle“ pleiteging, gehört aber auch, dass die beauftragten Baustadträte bei der nahe der Spree ausgehobenen Baugrube statt des vermuteten Märkischen Kieses schwammigen Sand vorfanden, so dass der Bau ins Stocken geriet.

Um diesem schwammigen Baugrund die nötige Stabilität zu verleihen, ließen sie exakt 863 Pfähle in die Tiefe des wabernden Baugrundes einrammen, um der geplanten Markthalle ein stabiles Fundament zu geben.

1918: Umbau in ein “Riesenvolkstheater”

Nach mehreren wechselnden Zirkusbetreibern bekam im Jahr 1918 der damalige Stadtbaurat Poelzig den Auftrag, den Zuschauerraum neu zu gestalten. Mit einer Kuppel, die die Arena und den Zuschauerraum überspannte, veränderte er den Charakter des Hauses, welches sich nun als großes Theater präsentierte, grundlegend.

Nach dem Umbau in ein „Riesenvolkstheater“ hieß der erste Chef des neuen „Großen Schauspielhauses“ Max Reinhardt, der seine Idee von Theateraufführungen antiken Stils hier umsetzte, wie etwa „Hamlet“, „Danton“ oder „Ein Sommernachtstraum“ und anderen Masseninszenierungen.

Inflation und Weltwirtschaftskrise erschwerten den Theaterbetrieb

Inflation und Weltwirtschaftskrise vereiteln weitere hochfliegende Pläne. Reinhardt musste den Theaterbetrieb aufgeben und Erik Charell kam, der wieder Revue und Unterhaltung anbot. Die Operette „Zum Weißen Rössl“ erlebte in diesem Haus ihre Welturaufführung.

1933 zogen die Faschisten in das Haus und nannten es fortan „Theater des Volkes“. Mehrere Bombentreffer im zweiten Weltkrieg beschädigen das Haus schwer, aber mit Hilfe der sowjetischen Besatzer wurde das arg ramponierte Gebäude wieder instantgesetzt.

1947: Der Name “Friedrichstadt-palast” wird geboren

Im August 1945 kehrte die heitere Muse mit dem Palast-Varieté „Haus der 3.000“ an den Standort zurück; zwei Jahre später wurde das Haus dem Berliner Magistrat unterstellt und heißt seitdem „Friedrichstadt-Palast“!

Künstler aus aller Welt gastierten in dem Haus an der Spree und boten dem Publikum ein unvergessliches Erlebnis: Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Josephine Baker oder Juliette Greco.

Februar 1980: die letzte Vorstellung im “alten” Friedrichstadt-palast

Aber die oben erwähnten Pfähle wollten ihrer „tragenden“ Rolle nicht mehr genügen, sie faulten im Berliner Schlamm vor sich hin, so dass die letzte Vorstellung Ende Februar 1980 stattfand.

Aber bereits eineinhalb Jahre später erfolgte die Grundsteinlegung an anderer Stelle, nicht weit weg von der alten Heimstätte, in der Friedrichstraße 107. Im April 1984 schlug der “neue” Friedrichstadt-Palast ein weiteres Kapitel dieses Revuetheaters auf, das bis heute weitergeführt wird.

Vier neue Städtische Markthallen an der Friedrichstraße

 Das Thema der städtischen Markthallen war damit aber nicht beendet, sondern wurde 1872 mit einem ehrgeizigen Projekt neu entfacht. Unter Bezugnahme auf die unhaltbaren Zustände auf den öffentlichen Märkten und der permanent wachsenden Bevölkerungszahl stiegen auch die Versorgungsprobleme.

Aber erst zehn Jahre nach der Eröffnung der ersten Berliner Markthalle, die dann aufgrund privater Interessen zum Zirkus umgewandelt worden war, entschied im Jahr 1886 der Oberbürgermeister von Berlin, Maximilian von Forckenbeck, dass vier städtische Markthallen, diesmal allerdings unter städtischer Verwaltung, gebaut werden sollten.

Neue Markthallen im Umfeld der Friedrichstraße entstanden ab 1886

Diese vier Markthallen lagen allesamt an bzw. in unmittelbarer Nähe der Friedrichstraße: Die Central- Markthalle in der Neuen Friedrichstraße, die Markthalle II in der Lindenstraße 97-98 / Friedrichstraße 18, die Markthalle III in der Zimmerstraße 90-91 / Mauerstraße 82 sowie die Markthalle IV in der Dorotheenstraße / Reichstagsufer.

Im Ergebnis dieser vier neuen städtischen Markthallen wurden insgesamt acht öffentliche, unter freiem Himmel, abgehaltene Wochenmärkte geschlossen, wobei die neuen Markthallen regional so angesiedelt waren, dass die Versorgung der Bevölkerung dadurch nicht gefährdet war.

Die Markthalle II direkt an der Friedrichstraße war mit einer Ausdehnung von 120 Metern Länge und 50 Metern Breite die Größte. Nach den schlechten Erfahrungen, die der Berliner Magistrat mit der ersten Markthalle gemacht hatte, wurden diesmal die neuen Markthallen von der Berliner Bevölkerung bestens angenommen, so dass der Magistrat entschied bis 1892 zehn weitere Markthallen auf dem Berliner Stadtgebiet errichten zu lassen.

Herrschaftliche Bauten, Passagen und Restaurants

Neben den bereits erwähnten Kaffeehäusern, die sich in der Friedrichstraße oder deren unmittelbarer Umgebung niederließen, herrschte nach dem Ende des deutsch-französischen Krieg 1870/71 eine unglaubliche Aufbruchstimmung in der Stadt, die sich in einem kaum zu überbietenden Bauboom niederschlug.

Auch in der Friedrichstraße und den angrenzenden Arealen vernahm man eine geradezu fieberhafte Geschäftstätigkeit, in deren Folge eine Vielzahl herrschaftlicher Bauten, Restaurants und Passagen aus dem Boden gestampft wurden.

Berlin 1871: Bauboom durch französische Reparationszahlungen

Aber woher kam der Geldsegen? Frankreich war nach Kriegsende zu Reparationszahlungen an Deutschland gezwungen worden, die einen schier unermesslichen Geldfluss in die Staatskasse spülte; insgesamt betrugen diese Kriegsentschädigungen für Deutschland gut 4,5 Milliarden Mark.

Der technische Fortschritt zog natürlich mit ein in diese pulsierende Metropole und in die Friedrichstraße im speziellen. So erwarb die „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektrizität“ – die spätere AEG – ein Gebäude ganz in der Nähe des Café Bauer, der Friedrichstraße 85, und baute im Keller des Gebäudes eine Blockstation, die den kompletten Häuserblock mit Strom versorgte. Das Café Bauer profitierte davon selbstredend und war damit in Deutschland das erste Lokal mit elektrischem Licht.

128 Meter Länge: Die “Kaisergalerie” in der Friedrichstraße entstand bis 1873

Ein Neubau in der Friedrichstraße, mit einer Länge von 128 Metern und einer Breite von acht Metern, überstrahlte allerdings alles bisher Dagewesene: die „Kaisergalerie“. Karl Friedrich Schinkel hatte bereits 1826 die entsprechenden Pläne dafür ausgearbeitet, doch bauen durfte er sie nicht.

Da Berlin nun auf dem Weg zu einer Weltmetropole war, durfte eine solche Passage mit großstädtischem Durchgang nun aber nicht mehr fehlen. Andere europäische Metropolen hatten solche Passagen schon, Berlin zog jetzt nach. Eine Passage, die die Friedrichstraße mit der Behrenstraße verband war äußerlich durch einen großen Torbogen zu erkennen und lockte so die Interessenten an.

Architektonisches Kunstwerk und patriotisches Ausrufezeichen

Die Investoren, die eigens für die Passage eine Aktiengesellschaft gegründet hatten, stellten mit der Gründung dieser Passage nicht unbedingt den Gewinn, sondern mehr den Patriotismus in den Vordergrund ihrer Bestrebungen, um Berlin um ein weiteres architektonisches Kunstwerk zu bereichern.

Die in Charlottenburg angesiedelte Tonwarenfabrik March belieferte übrigens die für die Fassade gebrauchten hellen Terrakotten, bei denen auch heller Sandstein zum Einsatz kam. Kaiser Wilhelm I weihte mit seiner Entourage den Komplex am 22.März 1873 ein, so dass auch die Namensgebung „Kaisergalerie“ die logische Folge war.

Unter den Linden / Friedrichstraße: Berlins meistfrequentierte Kreuzung

Trotz aller Begeisterung für diese Passage war die wirtschaftliche Situation des Bauwerks meist instabil, so dass folgerichtig der Aktienkurs vehement abstürzte. Nur dem exzellenten Standort hatte die Passage es zu verdanken, dass mit insgesamt 53 Läden – den Cafés, Konditoreien, Buffets, Likörstuben, Restaurants, Zigarrenhandlungen, Bekleidungsgeschäften, Kunsthandlungen oder Uhrmachern – die permanente Kaufkraft des benachbarten Lindenboulevards den Geldfluss nicht versiegen ließ.

Die Kreuzung Friedrichstraße / Unter den Linden war die in Berlin am intensivsten frequentierte Straßenkreuzung, so dass an einem Tag im März 1891 innerhalb einer Zeitspanne von 16 Stunden rund 120.000 Fußgängerinnen und Fußgänger registriert wurden.

Der schwedische Architekt Alfred Grenander baute die Passage in den Jahren 1930 und 1931 um. Im zweiten Weltkrieg fiel der Gebäudekomplex einem Bombardement zum Opfer und wurde schließlich im Februar 1955 abgerissen.

Fortsetzung folgt.

 

Das Innere der Kaisergalerie in Berlin im Jahr 1881, erbaut 1869-1873 von Walter Kyllmann und Adolf Heyden. / © Foto: Wikimedia Commons

 

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Artikelreihe: Berlins historisches Zentrum, Teil 1: Gründung

Serie – Berlins Luftschlösser, Teil 2: Der Neubau der Gedächtniskirche

Serie: Berlins Bauwerke der Moderne, Teil 3 – Der Pariser Platz

Vergessene Baukunst: Die Geschichte jüdischer Architekten in Berlin

Wiederaufbau der Altstadt? Die “Stiftung Mitte Berlin” im Interview

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