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Ausstellung: „Im Gleichschritt – der AIV Berlin im Nationalsozialismus”

2024 wird der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg 200 Jahre alt. Im Vorfeld des Jubiläums hat der AIV deshalb die Initiative ergriffen, einen genaueren Blick auf seine bislang kaum erforschte Geschichte im Nationalsozialismus zu werfen. Der Verein schaltete sich nach 1933 selbst gleich und schloss 83 Mitglieder aus, die während der NS-Zeit als Juden verfolgt wurden. Eine Ausstellung beleuchtet nun das unrühmliche Kapitel des AIV.

In einer kürzlich eröffnete Ausstellung beleuchtet der Architekten- und Ingenieursverein zu Berlin und Brandenburg seine Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus. / © Visualisierung: Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V.

© Visualisierung Titelbild: Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V., Architekturmuseum TU Berlin
Text: Wolfgang Leffler

 

Zur Ausstellungseröffnung „Im Gleichschritt: Der Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin im Nationalsozialismus“ gab der AIV im Architekturmuseum der TU Berlin eine Pressekonferenz zu der vom 7. Dezember 2023 bis 22. Februar 2024 stattfindenden Ausstellung in den Räumlichkeiten des Architekturmuseums der Technischen Universität.

Mit dieser Ausstellung bringt der AIV Licht in das Dunkel zur Geschichte des Vereins in den Jahren 1933 bis 1945 und räumt endgültig mit den vorgeschobenen Entschuldigungen auf, dass der AIV während der Nazizeit verboten gewesen wäre und diese Zeit quasi als ‚blinder Fleck‘ im Gedächtnis des AIV verhaftet sei.

AIV-Ausstellung “Im Gleichschritt” beleuchtet NS-Zeit des Vereins

Tobias Nöfer in seiner Funktion als AIV-Vorsitzender betonte in seiner Einführungsrede die Bedeutung dieser jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse, die erschreckende Realitäten zu Tage befördert hätten und schlimmer seien als ursprünglich angenommen.

Man fühle sich verpflichtet – auch hinsichtlich der Vorbereitungen zum 200-jährigen Vereinsjubiläum im Jahr 2024 – endlich mit diesem Lügenkonstrukt aufzuräumen. Gleichzeitig entschuldigte er sich im Namen des Vereins bei den Opfern und deren Familien, die im Zuge der Machtübernahme der Nazis und der politischen Gleichschaltung des AIV aus dem Verein ausgeschlossen worden waren.

Der AIV Berlin schloss 83 Mitglieder aus, die bis 1938 als Juden verfolgt wurden

Immerhin kündigte der AIV 83 Mitgliedern, die in den Jahren 1933 bis 1938 als Juden verfolgt wurden, die Mitgliedschaft. Der heutige Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V., der sich seit seiner Gründung im Jahr 1824 bis 1933 jeglicher politischer Parteiname enthielt, brach nach der Machtergreifung der Nazis mit diesem Neutralitätsprinzip und wurde 1938 als „Gaufachgruppe Berlin der Fachgruppe Bauwesen im NS-Bund Deutscher Technik“ der NSDAP eingegliedert.

Die nun eröffnete Ausstellung belegt anschaulich die Beteiligung vieler Vereinsmitglieder an der verbrecherischen Baupolitik und der mörderischen Baupraxis im Zweiten Weltkrieg.

Jetzige Ausstellungsergebnisse sind nur der Beginn der Forschungen

Herr Jörg Rudolph M.A., Archivar und Historiker, wies in seinen Ausführungen darauf hin, dass diese momentan vorliegenden Forschungsergebnisse zur Organisation des AIV und seiner damals verantwortlich handelnden Personen erst der Anfang seien und zukünftig weiterführende Recherchen die jetzigen Ausstellungsergebnisse ergänzen werden.

Die jüngsten Forschungen zu diesem Thema belegen auch, dass der Anteil der deutschen Architekten und Ingenieure an dieser ‚Staatsarchitektur‘ nicht unerheblich war, denn ab 1933 vernetzten sich Mitglieder des AIV mit Beamten aus staatlichen und kommunalen Bauverwaltungen Berlins und Brandenburgs, mit leitenden Mitarbeitern großer Industriekonzerne, der Reichsbahn sowie der geheimen Luftwaffe und Reichswehr (ab 1935 Wehrmacht).

Der AIV Berlin war während der NS-Zeit alles andere als politisch neutral

So gesehen werfen die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit ein ganz trübes Licht auf den AIV in den Jahren des Nationalsozialismus, denn sie belegen die persönliche und institutionelle Vorteilsname und Anpassung an das seit 1933 herrschende System.

Allerdings sind die im Vorfeld beschriebenen Ausgrenzungen und Ausschlüsse der jüdischen AIV-Mitglieder in den Vereinsakten nicht dokumentiert. Der AIV wurde als Verein ab 1950 in den Westsektoren Berlins wieder zugelassen und mit Hellmuth Bickenbach, Hans Freese, Hans Hertlein und Werner March gehörten dem ersten AIV-Vorstand einige Bekannte Fachleute aus der NS-Zeit an.

Bis 1955 herrschte im AIV noch ein Konsens des Schweigens

Bis 1955 herrschte aber immer noch ein Konsens des Schweigens und der Tarnung, bis man sich nach und nach aus der Deckung wagte. Viele ehemalige Mitarbeiter aus Albert Speers Planungsstab wurden übrigens nach 1945 zu Professoren an der TU Berlin berufen.

Wenn es einen Grund gab, warum man diesen in der NS-Zeit ausgewiesenen Baufachleuten auch nach 1945 wieder Aufgaben des Bauwesens anvertraute, dann entsprach dies sicher der Notwendigkeit und des zu deckenden Bedarfs an Fachleuten für den Wiederaufbau Deutschlands und im speziellen dem zerstörten Berlin.

Demokratiefeindliche Grundhaltung und konservativer Traditionalismus

Dr. Hans-Dieter Nägelke als Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin führte aus, dass sich “der konservative Traditionalismus, der die beamteten Vereinsmitglieder prägte sich als unheilvolle und deprimierende Spur vom Ende der Monarchie durch die zerrissenen Weimarer Jahre bis in den Nationalsozialismus zieht“. Und das galt auch für die ‚demokratiefeindliche Grundhaltung weiter Teile der Technischen Hochschule‘.

Insofern sind die Ausstellung und die sie begleitende Publikation auch ein wesentlicher Teil der gemeinsamen Erinnerungsarbeit des Vereins sowie der Technischen Universität. Abschließend verwies Tobias Nöfer nochmals auf die Hintergründe zur Durchführung dieser Forschungsarbeit, die im Prinzip deprimierende Einblicke in die Geschichte des AIV während der Nazidiktatur gewährt. Man sollte nicht ausblenden, dass der Verein auch nach 1945 ehemaligen Handlangern der Diktatur zur Ehrenmitgliedschaft im AIV verhalf.

Tobias Nöfer: Die Aufarbeitung des Unrechts war bislang ungenügend

In dieser Zeitspanne habe man es laut Nöfer auch versäumt, den Ausgeschlossenen zu gedenken oder sich bei ihnen oder deren Nachfahren im Namen des Vereins zu entschuldigen für das furchtbare Unrecht, welches ihnen widerfahren ist.

Es gehöre immerhin zur Verantwortung unserer Generation, weiterhin “Lehren aus diesen Forschungsergebnissen zu ziehen” und die dafür notwendigen klaren Fakten auf den Tisch zu legen.

Anzumerken sei in diesem Zusammenhang noch, dass im Rahmen dieser Ausstellung vier weitere baukulturelle Verbände (ARL, BDA, DASL und werkbund berlin) ihre Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit vorstellen.

 

 

Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Straße des 17. Juni 152, 10623 Berlin
Geöffnet 7.12.2023 – 22.2.2024 (22.12.-7.1. geschlossen), Mo–Do, 12–16 Uhr

Quellen: Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V., Deutsches Architektur Forum, Baunetz, Wikipedia, Architekturmuseum TU Berlin

 

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