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Jede Zeit baut ihre Stadt.

Nachhaltiges Vorbild für Berlin? Paris streicht tausende Parkplätze

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, treibt einen beispiellosen Stadtumbau in der französischen Hauptstadt voran. Das Konzept der “15-Minuten-Stadt” sieht vor allem eine massive Reduzierung des Autoverkehrs und die Umwandlung tausender Parkplätze vor. Taugt das Konzept Hidalgos als Vorbild für Berlin?

Das hohe Aufkommen an motorisiertem Individualverkehr soll in Paris vor allem aus den kleinen Straßen und Gassen verschwinden. / © Foto: depositphotos.com

© Fotos: depositphotos.com
Text: Björn Leffler

 

Bei der emotional geführten Debatte um die Wiedereröffnung der Friedrichstraße in Berlin-Mitte für den Autoverkehr trafen in vielen Foren, sozialen Medien oder Diskussionsrunden Befürworter und Gegner aufeinander und warfen sich nicht selten gegenseitig Ideologieversessenheit und mangelnden Sachverstand vor.

Befeuert wurde diese Diskussion Anfang Juni noch von der Entscheidung der Senatsverkehrsverwaltung, die in den Berliner Bezirken geplanten Radwegprojekte zu stoppen, um sie einer erneuten Prüfung zu unterziehen.

Berlin: Senat möchte massiven Verlust von Parkplätzen vermeiden

Entscheidendes Kriterium war bei dieser Überprüfung, ob bei den geplanten Radwegprojekten womöglich zu viele Parkplätze wegfallen könnten. Die neu ins Amt gewählte CDU, die nun mit der SPD koaliert, fährt in Sachen Verkehrsplanung eine völlig andere – deutlich autofreundlichere – Politik als ihre rot-grün-roten Vorgängerregierungen.

SPD, Grüne und Linke hatten in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, vor allem den Fahrradverkehr in Berlin zu stärken und Parkflächen für private Pkw zu reduzieren – zum großen Ärger für viele Autofahrerinnen und Autofahrer.

Streit um Friedrichstraße: Fußgängerzone ein Rück- oder Fortschritt?

Insbesondere beim Thema Friedrichstraße konnte man mitunter den Eindruck gewinnen, die Tatsache, dass Berlin in seinem Stadtzentrum eine Fußgängerzone ohne Autos plant, würde die deutsche Hauptstadt in die Zeit der Kutschen und Handwagen zurück katapultieren.

Wie die zukünftige Friedrichstraße aussehen wird, soll in den kommenden Jahren in einem übergreifenden und vor allem ergebnisoffenen Entwicklungsprozess entschieden werden. Dass eine große europäische Metropole versucht, den Autoverkehr zu reduzieren, ist allerdings keine Berliner Erfindung.

Paris: Bürgermeisterin Anne Hidalgo baut die Stadt massiv um

Um diese Erkenntnis zu gewinnen, reicht allein ein Blick nach Paris, wo die dortinge Bürgermeisterin Anne Hidalgo bereits vor Jahren mit einem beispiellosen Umbau ihrer Stadt begonnen hat. Das Konzept der “15-Minuten-Stadt” hat längst internationale Berühmtheit erlangt.

Die französische Hauptstadt gilt als eine der dichtesten Städte der Welt. Über 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner verteilen sich hier im Durchschnitt auf einen Quadratkilometer, insgesamt wohnen rund zwei Millionen Menschen auf einer Fläche von der Größe des Bezirks Pankow – und dieser wird in Berlin bereits als überbevölkert bewertet.

Im Großraum Paris leben rund 13 Millionen Menschen. Zum Vergleich: In der Metropolregion Berlin/Brandenburg sind es, je nachdem welche Flächen man hinzuzieht, zwischen fünf und sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

Paris: Zu Stoßzeiten erstickt die Stadt im Verkehr, der ÖPNV ist überfüllt

Autofahrer, öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad- und Rollerfahrer, Fußgänger – sie alle streiten sich zwangsläufig jeden Tag um den nötigen Platz auf den engen Straßen von Paris. Zu Stoßzeiten erstickt die Stadt im Verkehr, Staus sind der Normalzustand, die öffentlichen Verkehrsmittel notorisch überfüllt.

Wer in Berlin über volle Bahnen oder verstopfte Straßen klagt, sollte einmal eine Woche in der Pariser Rush Hour verbringen. Um der in Paris ebenfalls vorherrschenden, übermäßigen Nutzung des Autos den Kampf anzusagen (etwa 60 Prozent der Verkehrsteilnehmer nutzte das Auto), hatte Hidalgo Ende Januar 2020 Pläne für die Umwandlung der Hauptstadt in eine autofreie Stadt bekanntgegeben.

Januar 2020: Das Konzept der “15-Minuten-Stadt” wird vorgestellt

Die “Stadt der 15 Minuten” war ein wichtiger und zentraler Bestandteil ihrer Wahlkampagne, mit der sie am 28. Juni in der zweiten Runde weit vor ihren Gegenkandidatinnen Rachida Dati und Agnès Buzyn die Kommunalwahlen für sich entschied.

Dabei stammt die Idee der “15-Minuten-Stadt” nicht von Hidalgo selbst. Das Konzept kommt ursprünglich von Carlos Moreno, Urbanist und Professor an der Pariser Universität Paris I. Basierend auf Morenos Konzept soll eine dezentralisierte Stadtorganisation umgesetzt werden, die den Bewohnern von Paris mehr Lebenszeit schenken soll.

Paris will bis zu 70.000 Parkplätze auflösen und neu nutzen

Von jedem Ort der Stadt aus soll innerhalb von 15 Minuten alles erreichbar sein, was man im Alltag braucht – wenn möglich mit dem Fahrrad. Zwischen 60.000 und 70.000 innerstädtische Parkplätze will Anne Hidalgo dafür entfernen und in neu nutzbaren, urbanen Raum umwandeln lassen.

An Stelle der Parkplätze sollen Grünflächen, Spielplätze und weitere Fahrradwege angelegt werden. Und Hidalgo hat längst gezeigt, dass sie es nicht nur bei großen Ankündigungen belassen will. Einem Bericht der New York Times zufolge wurden in den vergangenen Jahren bereits rund 4.000 Parkplätze umgewidmet und – vor allem in den warmen Monaten – für kulturelle oder gastronomische Zwecke genutzt – auch forciert durch die Corona-Pandemie.

Verkehrsplanung: Kann man Berlin und Paris überhaupt vergleichen?

Kritiker eines Vergleichs mit Paris betonen oft, dass die beiden Städte aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit schwer zu vergleichen seien. Berlin ist merklich weiter und ausfallender geplant und – was die reinen Stadtgrenzen angeht – auch deutlich größer.

Doch das, was in Paris vermehrt getan wird – enge Gassen und Straßen von parkenden Autos zu befreien, um mehr Platz für Fahrradfahrer und alternative Nutzungen zu schaffen – genau das ist in vielen Innenstadtquartieren Berlins ebenfalls längst geschehen oder ist in Planung. So werden in verschiedenen Quartieren neue Kiezblocks geplant (etwa im Arnimkiez in Prenzlauer Berg), Parkplätze entsiegelt (im Graefekiez in Kreuzberg) oder neue Fußgängerzonen in Angriff genommen (am Hackeschen Markt).

Autoverkehr soll aus engen Straßen und Quartieren herausgehalten werden

Genauso wie in Berlin ist es auch in Paris nicht das Ziel, die großen Verkehrsachsen zu beschneiden, sondern vor allem den Autoverkehr aus den engen und hoch frequentierten Straßen und Kiezen zu holen, um den Durchgangsverkehr in diesen Stadtbereichen deutlich zu reduzieren.

Paris kann also durchaus als spannendes Vorbild für die Berliner Verkehrsplanung dienen, vielleicht auch für die Entwicklung des Boulevards Unter den Linden. Hier soll in den kommenden Jahren ein neues Verkehrskonzept entwickelt werden, welches ebenfalls die Reduzierung des Autoverkehrs zum Ziel hat.

Paris baut den Champs Élysees in den kommenden Jahren um

Auch in Paris ist ein aufwendiger und umfassender Umbau der Champs Élysees geplant. Der Prachtboulevard soll vor allem grüner und fußgängerfreundlicher werden. Hidalgo sagte dazu öffentlich: “Als Bürgermeisterin wünsche ich mir, dass wir wieder Gefallen an den Champs-Élysées finden.

Hidalgo möchte die Champs Élysees, die bei den Einwohnern von Paris vor allem aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens und der wenig einladenden Gastronomie und Einzelhandelsangebote enorm an Beliebtheit eingebüßt hat, zu einem “Schaufenster einer verkehrsberuhigten Stadt” machen.

Champs Élysees soll “Schaufenster einer verkehrsberuhigten Stadt” werden

Der Place Concorde, der sich vor allem in den Sommermonaten enorm aufheizt, soll dabei massiv begrünt werden. Fußgängerinnen und Fußgänger sollen von den Tuilerien zur Champs Élysées gelangen, ohne vom Autoverkehr behindert zu werden.

Auch rund um den Triumphbogen am anderen Ende des Boulevards soll den Fußgängern und Radfahrenden mehr Platz als bisher eingeräumt werden. Zudem sollen zu den bislang 400 Bäumen noch weitere hinzukommen, um die Stadt für zukünftige Hitzewellen besser zu rüsten. Ist auch dieses Vorgehen womöglich ein Vorbild für Berlin?

Natürlich sind diese Pläne auch in Paris nicht unumstritten. Anne Hidalgo jedoch ist überzeugt, mit dieser Stadtentwicklungspolitik auf die drängenden Probleme der Gegenwart am besten reagieren zu können. Und viele Pariserinnen und Pariser scheinen dies ebenso zu sehen, denn sie haben Hidalgo längst im Amt bestätigt.

 

Weitere Bilder zum Projekt findet Ihr hier: 

In der französischen Hauptstadt Paris wird mehr und mehr eine fahrradfreundliche Infrastruktur geschaffen. / © Foto: depositphotos.com

Weitere Verkehrsprojekte sind hier zu finden

Quellen: New York Times, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Info Sperber, Goethe-Institut, Der Spiegel

 

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2 Kommentare

  1. Flip August 31, 2023

    Ich hoffe dieser unrealistische Autohass erreicht nicht Berlin. Gerne kann man darüber nachdenken, Besucherautos aus der Innenstadt zu verbannen. Dann finden Anwohner auch genug Platz um tägliche Geschäfte etc zu erledigen. Aber dieses “verbieten” führt zu überhaupt nichts.

    • Phon November 2, 2023

      Da das nur eine Meinung ist und keine Argument, sage ich einfach: Da bin ich anderer Meinung.
      Ich glaube Private Autos aus der Innenstadt (z. B innerhalb des S-Bahn Rings), also dem Bereich in dem man nun in Berlin wirklich keinerlei Probleme hat sich mit dem ÖPNV fortzubewegen, sukzessive zu Verdrängen führt zu sehr viel Lebenswerteren und interessanteren Städten für jene die dort Wohnen und die sie Besuchen.
      Nächste Meinung: ich finde nicht das irgendwer für 10,40 € im Jahr oder 4€ die Stunde das recht haben sollte innerhalb der Innenstadt 10qm Öffentlichen Stadtraum für im schnitt 23 Stunden täglich zu Beparken nur um das Auto dann für entsprechend 1 Stunde am Tag mit im Schnitt 1,3 Personen durch die Gegend zu fahren. Sorry aber in der Stadt ist einfach nicht der Raum da um ihn auf diese Weise zu verschwenden.

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